Erfahrungsbericht eines Neulings

  • Liebe Freunde der kultivierten Fortbewegung,


    nachdem ich mich für eine neue Mobilitätslösung entscheiden musste und nicht überzeugt bin, dass Elektromobilität jetzt schon der richtige Schritt ist, bin ich einen Weg gegangen, den ich ebenfalls für nachhaltig halte.
    Die Schadstoffbilanz eines Autos wird ja nicht nur durch Verbrauch und Verschleiß beeinflusst, sondern auch nicht unmaßgeblich durch die Produktion (ein Tesla S steht bei seiner Geburt etwa 50% schlechter da, als der übliche Verbrenner im Schnitt*).Vor diesem Hintergrund ist es ökologisch sinnvoll, seinen fahrbaren Untersatz zu hegen und zu pflegen. Abwrack- und Umweltprämien im Umkehrschluss sind ökologisch die reinste Milchmädchenrechnung.


    Ein historisches Fahrzeug ist zudem günstig, auch wenn hierzu ein Zweitwagen erforderlich ist (ein smart geht auch). Das bietet auch die Möglichkeit, den in Verruf geratenen Diesel bei angeblich schlechteren Emissionswerten noch ein wenig unbekümmerter zu fahren und so viel die Wahl auf einen 190 2.5D aus dem Jahre 1987. Impalabraun, schwarze Textil-Ausstattung, Schiebedach und sonst – eigentlich nix. Auch der W123 kam in die engere Wahl, letztendlich hatte es mirder Baby-Benz aber mehr angetan. Es lebe der Grobstaub!


    Bei meiner Suche achtete ich auf übliche Fettnäpfchen und habe tunlichst aufgepasst, dass die Schweller rostfrei sind, der Motor unauffällig läuft und Rost auch sonst nicht zu sehr um sich gegriffen hat. Der Innenraum sollte mit Bordmitteln aufzufrischen sein und so fiel der eine oder andere Scheunenfund mit Schimmelansatz, schlecht kaschiertem Rost und eindeutigen technischen Auffälligkeiten durch, bis ich meinen Kandidaten im Februar im Ostwestfälischen entdeckte. Nicht top, aber aus meiner Sicht das Wagnis wert. Hier also ein kleiner Erfahrungsbericht:


    An einem Nachmittag im Februar traf ich mich mit dem Verkäufer, der mit dem Wagen ursprünglich andere Pläne hatte, diese aber wieder verwarf und das Auto so einfach nur einige Monate rumstehen hatte. Die Historie war – und das glaub ich ihm – nicht bekannt und so wusste ich nur, dass die Batterie leer war, die Lichtmaschine gerade repariert (Tausch des Reglers). Die Schweller waren ordentlich gemacht und sonst war Rost an den Türen zu sehen, wo die Zierleisten enden. Sakkobretter gibt es nicht. Der Kotflügel rechts und eine Seitenwand hinten brauchen ein wenig TLC (neudeutsch: tender loving care). Der Innenraum solide, auch wenn der Fahrersitz die übliche Durchwetzung der Seitenwange hatte und Schönheitsfehler im Cockpit. Ansonsten war alles ein bisschen staubig aber grundsätzlich trocken und ok. Die Probefahrt nach Fremdstart zeigte, dass der Motor rund und ruhig lief, das Getriebe schaltete sauber, das Fahrwerk rumpelte ein wenig (irgendwie klar ohne Kennzeichen auf Feldwegen), aber dafür dass der Kraftstoff bereits hätte eingeschult werden können und die Reifen kurz vor dem Abi standen, war ich zuversichtlich. Im Innenraum rührte sich wenig – die Batterie war ja auch schwach. Das Blinkerrelais musste getauscht werden, kein großes Ding – soviel zur Theorie.
    Für bestimmt zuviel Geld für die Hardware aber akzeptabel im Wert wechselte mein künftiger Gefährte den Eigentümer und damit die nächste Herausforderung:
    Als Stadtbewohner mit altem Diesel steht man nun grundsätzlich vor dem Problem, dass man den Wagen ohne H-Zulassung nicht bewegen darf. Auch traute ich dem Schein nicht und entschied mich, den Transport von ca. 120km huckepack zu bewerkstelligen. Ein desolater Ducato war schnell gefunden und so stand der Wagen am Wochenende drauf in der Tiefgarage. Auch hatte ich in der Zwischenzeit einen offenbar kundigen Schrauber ausgemacht, dem ich den Wagen Dienstags drauf mit Kurzzeitzulassung auf den Hof stellte. Als Oldtimer-Experte wähnte ich mich in besten Händen, allerdings ist es natürlich immer ein „Va-Banque-Spiel“ – man muss den Experten gewähren lassen und darf ihm nicht zu sehr in die Kosten quatschen –Vertrauen ist gefragt. Die Nummer führte mich im wahrsten Sinne zur Bank – es wurden folgende Dinge umgesetzt:
    -Tausch der Reifen (völlig überflüssig, aber er hatte sie dann schon bestellt), ich hätte mir lieber gebrauchte Alus gekauft – egal
    -Neue Bremsen rundum, da die Alten zwar noch nicht runter waren, aber überaltert (Scheiben, Klötze, Leitungen)
    -Neue Federn rundum, weil alle gebrochen waren (erklärte mir das Rumpeln, war aber nicht zu erkennen für mich)
    -Neue Motorlager (die Ölwanne schliff wohl schon an der Stabi-Stange)
    -Stabi-Stange wurde überarbeitet
    -Das Radhaus links musste geschweißt werden
    -Sämtliche Birnchen im Innenraum getauscht
    -Die Lichtmaschine war wohl doch in den Wicken und wurde gegen eine Instandgesetzte getauscht
    -Dazu gab’s dann noch TÜV und AU und das alles für schlappe 2 ½ Schleifen
    Bis hierher noch kein „H“. Dazu war das Erscheinungsbild noch nicht gut genug – ich musste also an den Rost.


    Da es mir zuaufwendig war (und auch zu teuer), den Wagen zumindest unterhalb der Gürtellinie komplett zu lackieren, habe ich mich für den Tausch der Türen und des Kotflügels entschieden. Kleinere Rostansätze am Kofferraumdeckel, eine Blase auf der hinteren Seitenwand links und weitere Kleinigkeiten wollte ich mit hochwertigem Sprühlack selber angehen. Mopf-Türen im passenden Ton waren erstaunlich schnell gefunden, der Kotflügel mir leider durch die Lappen gegangen – daher sollte auch er eine Frischzellenkur aus eigener Hand erhalten. Außerdem fand ich eine passende Sitzgarnitur in Bielefeld (jaja, gibt’s garnich) mit Armlehne und Kopfstützen hinten. Die Mittelkonsole sollte einer großen weichen weil hier (schließlich soll es ein Daily Driver werden und ich muss beruflich nunmal im Auto telefonieren können) um einer nicht wirklich H-konformen Audiolösung Raum zu bieten, aber wie damit gegenüber dem TÜV umzugehen ist, wird sich zeigen. Es wurden nun an 2 Wochenenden alle Türen getauscht, der Innenraum aufgemotzt (das Radio erstmal noch nicht) und wie verrückt gespachtelt und lackiert. Am Ende war ich mit dem Ergebnis soweit einverstanden, dass ich den Zweitversuch beim TÜV wagen wollte und irgendwie bekam mein Schrauber den soweit bequatscht, dass ich tatsächlich freie Fahrt wähnte. Auf die Frage, was ich noch gegen das Brummen und Vibrieren tun könne, riet er mir, bei Gelegenheit das Mittellager zu tauschen. Es eile aber nicht. Noch schnell das Kennzeichen getauscht (dritte Zulassung in 2 Monaten – mein Versicherungsfritze und ich sind inzwischen per Du), das Doppel-Din-Radio mit Apple Car-Play verbaut und die Luftdusche und die ZV-Pumpe getauscht und ich wähnte mich in Sicherheit. Der erste Ausritt war vielversprechend und ich hatte offen gestanden einen riesigen Spaß, der die Kosten und Mühen der letzten Monate rechtfertigte. Aber erstens war der Ausritt kurz und zweiten kommt alles anders als man denkt.


    Ein Sonntagsausflug ins Bergische sollte es werden. Nach ca. 40 km war aber erstmal Schluss. Ein Rucken ging auf einer Steigung auf der A46 durch das Fahrzeug, als hätte die Automatik runtergeschaltet (ist aber ein Schaltwagen) und ich schaffte es nicht mehr, den Gang zu wechseln und musste auf den Pannenstreifen rollen. Das Problem ließ sich vor Ort nicht lösen, ich verfluchte meinen Schrauber, dass er mich wohl falsch beraten hatte und der gelbe Engel kam geflogen. Der Nachmittag endete mit ziemlich viel Alkohol.
    Nach einigem Hin und Her mit der Werkstatt war klar, dass hier eine Inividuallösung gefunden werden musste, die es der Werkstatt erlaubte, auch gebrauchte Teile zuverbauen. Denn die Erstdiagnose lautete „Getriebeschaden“. Konnte ich mir garnicht vorstellen, aber ein wirklich kompetenter Schrauber aus Wuppertal nahm sich der Sache an und erklärte mir, dass das Getriebe mehr als etwa eine Espressotasse Öl braucht. Das war mir auch klar, allerdings hatten weder Vorbesitzer, noch Schrauber zuvor oder der TÜV irgendwas Verdächtiges bemerkt und so musste ein neues Getriebe her. Den Todesstoß habe ich vorerst abgewendet mit einem weiteren Gebrauchtteil unbekannter Herkunft vom Schrott in Holland, welches aber ordentlich verbaut wurde und anständig zu laufen scheint. Dazu gab es noch einen Service, neue Hardy-Scheiben und Mittellager und das für insgesamt 800€ all-in-all – OK – weiteres Leergelt :-/


    In derZwischenzeit sind weitere 500km gelaufen und das Getriebe bekommt demnächst neues Öl (sicher ist sicher). Dabei darf wohl auch noch ein Blick auf die Vorderachse geworfen werden – die knarrt und quietscht aus irgendeiner Nische vorne links und dann hoffe ich, sind erstmal alle Großbaustellen bedient. Um einige Details muss ich mich aber noch kümmern:
    -So muss der Rost im Motorraum (nicht schlimm, aber währet den Anfängen)umgewandelt und mit Wachs behandelt werden
    -Der Geruch im Innenraum ist mir ein Rätsel – die Mischung aus Stall, Trecker und Omas Sofa wird mich wohl noch eine Weile beschäftigen
    -Durch die Lüftung unter der Frontscheibe kommen seit ca. 300 km kleine Schaumstoffbrösel geflogen – ich hoffe, das hört auf, wenn ich die Motorhaubendämmung tausche
    -Einen Kotflügel habe ich mittlerweile unter Beobachtung
    -Der Sound muss noch ins neue Jahrtausend gehoben werden und so denke ich, werde ich hinten noch Lautsprecher einbauen und die vorderen tauschen
    -Außerdem werde ich mich um sog. Taxi-Klötze bemühen, weil die Sitze doch sehr wenig Support in Richtung Knie bieten
    -Vielleicht finde ich auch die Ursache für die zittrige Tanknadel, die mir leider nicht wirklich den konkreten Füllstand anzeigt (3 Stufen: ¾, zittern, 0)


    Wenn jemand zu den unteren Themen eine Idee hat (insbesondere die Lüftungsbrösel und die Tanknadel) oder Interesse an einem Satz Türen mit Rost oder einem Lichtmaschinenregler, lasst es mich wissen.
    Ansonsten drückt mir gerne die Daumen, dass ich diesen Wagen noch lange fahren darf und er sichnicht als Fass ohne Boden entpuppt.


    Beste Grüße und gute Fahrt,


    Euer Götz



    *Studie des IVL –Swedish Environmental Research Institute von 2017

    • Offizieller Beitrag

    Moin,

    die Ursache für die zittrige Tanknadel...

    ... wird der Füllstandsgeber im Tank sein. Ausbauen, zerlegen und die Komponenten reinigen, dann zeigt der auch wieder an. Haben einige hier schon gemacht, da könntest du dir Support holen.
    Zu den Schaumstoffbröseln: könnte von der Haubenmatte kommen oder, was dann aufwendiger wäre, aus der Heizungskiste. Ich weiß es nicht mehr genau aber ich meine mich zu entsinnen, daß an der Mischluftklappe auch Schaumstoff aufgebracht ist. Neue Dämmmatte verbauen und unter dem Gitter mal sauber machen und dann neu befunden.

    ein Blick auf die Vorderachsegeworfen werden – die knarrt und quietscht aus irgendeiner Nische vorne links

    Da kommt das Traggelenk in Frage. Mach beide neu, wenn das bricht, kann es übelst enden.


    Gruß Bianca

  • An sich ein schöner Bericht (noch schöner wäre er mit Leerzeichen), an der Stelle hier

    E190, 2.5D

    haben sich mir allerdings die Fußnägel hochgerollt. X/

  • Einen wunderschönen guten Abend,


    @Hessebembel: keine Panik, er ist doch noch ein Neuling... den Unterschied zwischen "E" und "D" wird er schon noch lernen. :)


    @GVSW201: Von meiner Seite auch ein herzliches [willkommen] . Aber noch ein paar Bilder zur Visualisierung wären ganz schön... ;)


    Das mit der zittrigen Tanknadel gibt sich evtl. mit der Zeit selbst, dass hatte mein Grüner am Anfang auch, nachdem er lange gestanden hatte. Irgendwann war es weg (ohne, dass ich den Tankgeber ausgebaut habe). War bei mir aber auch nicht ganz so schlimm...


    Wenn die vorderen Traggelenke knarzen, sollten sie unbedingt ausgetauscht werden. Wenn eines abreißt, dann ist das Auto tieferlegt, aber so richtig. Ist halt nicht so eine gute Idee, ein Kugelgelenk auf Zug zu beanspruchen. Unsereins hat sogar extra eine Lehre dafür...

  • Sorry für den einen oder anderen Faux pas - werde mich künftig mehr mühen.
    Danke für die ganzen Tipps - ich werde mich in den nächsten Wochen mal an die Traggelenke machen (lassen) - klingt doch eher schaurig, was da so passieren kann.


    Euch ein schönes Wochenende!