Lieber Horst,
vielen Dank für deine aufmunternden Worte, die mir in den vergangenen vier Wochen immer wieder durch den Kopf gegangen sind. Es freut mich sehr, dass du stets so regen Anteil an meinem (und unser aller) 190er-Erlebnis genommen hast und dir auch so viel daran liegt, dass der Rote weiterleben kann.
Ich selbst weiß, dass ich durchaus das Zeug zum "Bewahrer" hätte; zumindest aber über die nötige Lust und Motivation verfüge, diesen Benz noch viele weitere Jahre auf Deutschlands Straßen (und darüber hinaus) zu bewegen.
Im Moment bin ich aber extrem hin- und hergerissen, wie es weitergehen soll. Es steht nun seit Wochen bei 50/50. Mein Herz sagt natürlich: behalte den Roten, er ist DAS Auto für dich, du weißt das auch. Die Stimme der Vernunft wird aber zusehends lauter, und ich kann nicht leugnen, dass sie ebenfalls valide Argumente hat.
Der Wagen ist nun seit gestern abgemeldet, nachdem ich ihn in der vergangenen Woche bei Bekannten neben zwei Enten-Wracks auf Kies abgestellt hatte. Ich versuche im Folgenden mal, Gründe fürs Behalten und Abschiednehmen darzulegen, damit ihr mein Dilemma ein wenig besser nachvollziehen könnt.
+ mein Auto seit acht Jahren, 120.000 km gemeinsame Kilometer, viel zusammen erlebt, hänge sehr dran
+ kenne ihn gut; begreife die Technik und Bauteile einigermaßen; habe Anschluss an dieses Forum und eine Community dahinter
+ es wurde bereits Einiges an Zeit und Geld reingesteckt; ich weiß, was bereits erneuert wurde und was noch kommen könnte
+ könnte ihn in Zukunft womöglich mit Saison-H fahren und erhalten, ohne arm zu werden
– TÜV ist seit November abgelaufen, Wagen ist nun abgemeldet (schlechte Kombination, nicht?)
– Wie kompliziert und aufwendig wird wohl die Neuanmeldung? Wie bekommt man das Fahrzeug transportiert?
– Taugt nicht mehr im Winter und soll das auch nicht mehr ertragen müssen, wäre also lediglich Zweitwagen von 05-10
– er benötigt nun einiges an Aufmerksamkeit, Zeit und Geld:
# Radlager HR dröhnt -> also auch gleich links machen, also auch gleich HA raus und einmal neu machen, also auch gleich den kompletten Bereich entrosten und behandeln (Vorbereitung, Teile, Geld, Zeit, Ressourcen??)
# steht immer noch ohne Handbremse da, weil die ganzen Teile ab vorderem Seil ausgebaut und aufbereitet werden müssen (schwergängig, rostig), ebenso karosserieseitig (wenn dann zusammen mit Hinterachs-Geschichte machen)
# Hitzeschutz-Mantel des Kats fehlt, bei pedantischem Prüfer darf der dann ebenfalls neu
# Lenkung quietscht seit einigen Wochen vor allem in den ersten Minuten (keine Ahnung woher)
# Rost und Löcher an Koti-Kanten, Radlauf, Stehbolzen für Innenradlauf-Abdeckungen (halten an vielen Stellen nicht mehr), Abschlepphaken, sonstigen Stellen
... aber das habe ich ja alles schon weiter oben genannt. Für einen erfahrenen Schrauber mit geeigneter Garage und Ausrüstung klingt das wahrscheinlich nach einer absolut machbaren, gar reizvollen Aufgabe. Bin ich aber nicht, hab ich aber nicht.
Was an der ganzen Sache halt nun richtig kacke ist:
# ich werde ab Oktober studieren und weitere drei Jahre lange eine arme Sau sein, die eigentlich kein Geld über hat für einen uralten Karren, schon gar nicht für zwei Autos
# ich arbeite noch die nächsten sechs Monate in einem Supermarkt, wo ich samstags arbeiten muss und ein brauchbares Wochenende Wunschdenken ist
# ich würde gerne noch etwas zur Seite legen können und sollte leider eh noch die ein oder andere Investition tätigen (blöd, wenn man auch andere Hobbys hat und sich auf ein Studium vorbereitet)
Eben habe ich in ein Dokument reingeschaut, was ich mir mal vor Jahren hier heruntergeladen hatte. Es geht um die Kosten für eine komplette Revision der HA. Der Herr spricht von knapp 1400 Euro inkl. Spureinstellung und Abnahme. Das ist eine krasse Summe, und nur ein Teil der nötigen Arbeit.
Um es kurz zu fassen: ein Wagen wie meiner, seit 32 Jahren im Alltagsdienst und neun Weltumrundungen auf der Uhr, gehört blechseitig und vor allem unten rum komplett gemacht. Hätte ich 5000 Euro über, würde ich sagen: ja, mach ich. Oder lass ich machen, wie auch immer. Aber in der aktuellen Situation, mit dem aktuellen Ausblick auf die nächsten Jahre... oh je.
Das ist beim Twingo im Moment einfach viel entspannter. Nicht nur, weil der Karren viel simpler aufgebaut ist. Sondern vor allem, weil er erst 136 gelaufen hat und man ihm das auch ansieht. Egal ob oben oder unten. Wenn ich den begutachte, fühle ich mich hoffnungsvoll und optimistisch. Hier ein bisschen gucken und Fluid Film versprühen, hier einen Lackabplatzer mit dem Stift behandeln. Die HA rostet? Kein Thema, ist ja eh nur ein Stück Blech, und keine Raumlenker mit Antrieb und Co. Bei dem Kleinen habe ich das Gefühl, dass ich noch Herr der Lage bin und das in Zukunft auch sein kann. Beim guten alten Benz sehe ich unten rum versteckte Rostnester; offensichtliche Rostnester; eine komplizierte HA-Konstruktion; lauter abgefaulte oder festgefaulte Schrauben; Bauteile, Leitungen und Schläuche, die mal neu wollen; und so weiter.
Wenn ich im Lotto gewinnen würde, wäre meine erste Tat, den Roten bei MB Classic vorzufahren. Einfach machen, das Chaos beseitigen lassen.
Im Moment steht's alles auf der Kippe ![weissnicht [weissnicht]](https://w201-ev.de/forum/wcf/images/smilies/weissnicht.gif)